New Work – Gekommen, um zu bleiben

Ele Jansen Ph.D., InnovationPort – Digitales Innovationszentrum Wismar
Juni 2023

New Work ist ein Schlagwort für neue Trends in der Arbeitswelt. Er wird immer dann verwendet, wenn die Vielzahl der Veränderungen in der Arbeitswelt benannt werden sollen, und beinhaltet Remote Work, flexible Arbeitszeiten und Rollenverteilung, aber auch größere Freiheiten und (auch) Verantwortung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Was genau sich hinter dem Begriff verbirgt, woher die neue Handlungslogik stammt und warum sie für wen wichtig wird, erklärt dieser Fachbeitrag.

1. Was die Medienrevolution mit unserer Denke zu tun hat

Die Welt, wie wir sie kennen, wandelt sich rapide, nicht zuletzt durch die Verbreitung des Internets. Seit der Erfindung des Buchdrucks gab es keine so weitreichende Veränderung der Medienlandschaft. Mit dem Buchdruck wurde es möglich, Wissen auf Papier zu verbreiten. Bücher haben eine bestimmte Eigenschaft und zwar ermöglichen sie die lineare Darstellung von Wissen. Auch die analogen Medien des 20. Jahrhunderts sind linear: Filme, Radio, Fernsehen erfordern, dass Informationen in eine chronologische Form gebracht werden, um darstellbar zu sein. Das erfordert Fokus und eine zeitliche Anordnung beziehungsweise Hierarchisierung der Inhalte. Dadurch entsteht im Allgemeinen eine dramatische Erzählstruktur, um die Aufmerksamkeit des Publikums über längere Strecken zu halten.

Erst mit den digitalen Medien wurde die non-lineare Darstellung von Wissen möglich*. Und dies geschieht auf mehreren Ebenen. Zum einen durch Hyperlinks, auf die wir mitten in einem linearen Text klicken und woanders weiterlesen und auch durch YouTube-Videos, von denen wir wegspringen; Threads in sozialen Medien, die wir scrollen, bis wir einen Link klicken. Zum anderen geschieht es durch die Möglichkeit zum Austausch unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, was klassische Medien nur zu einem geringen Grad anbieten.

* James Joyces Ulysses war ein Versuch eines non-linearen Buches, eine Form, die allerdings keine große Verbreitung unter Autorinnen und Autoren bekam.

Symbolisch betrachtet stellen sich analoge und digitale Medien wie folgt dar (Vgl. Abbildungen 1 und 2). Analoge Medien können wir als linear betrachten: Informationen gehen von wenigen Gatekeepern (Radio, Verlag, Fernsehsender) an viele. Digitale Medien können wir als non-linear betrachten: Informationen gehen von vielen (alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den sozialen Medien, alle Programmiererinnen und Programmierer) an viele. Dieses Phänomen wurde weithin als Demokratisierung der Medien beschrieben1, 2, 3. Ob soziale Medien tatsächlich demokratisch wirken oder - wie andererseits argumentiert - es sich um den Schein einer Demokratisierung handelt4, 5, bleibt eine akademische Debatte.

Eine kurze Auflistung von Gründungsdaten der meistgenutzten digitalen Plattformen zeigt, wie schnell Menschen sich der non-linearen Logik der digitalen Medien bedient haben.

●    1969: Erfindung des ARPA-Nets (TCP/IP-Protokolle legen die Basis für das Internet)
●    1989: Tim Berners-Lee erfindet WWW (sein HTML Code stellt Inhalte im Internet dar)
●    2000: eine kritische Masse in Deutschland benutzt das Internet
●    2004: Gründung Facebook
●    2005. Gründung YouTube
●    2008: Gründung Blockchain
●    2009: Gründung Bitcoin
●    2010: Gründung Instagram, Smartphones mit Bild, Google Maps, E-Mail etc.
●    2012: Launch Google Glass
●    2016: Launch Pokémon Go
●    2021: Web3, z. B. Facebook wird zu Meta (Versuch reale und virtuelle Welten zu verschmelzen)
●    2022: Lensa AI, Midjourney (Künstliche Intelligenz (KI) für Bilder in Sozialen Medien)
●    2023: GPT-4 (KI Chatbots erfahren Mainstream-Anwendung)

Im Jahr 2023 sprechen wir also von etwa 25 Jahren mit dem Internet im Mainstream und etwas mehr als 10 Jahren App-Geschichte auf Smartphones. Zentral für den Arbeitsmarkt ist, dass die Art, wie wir unsere Informationen aufnehmen, die Art beeinflusst, wie wir denken6. Genauer gesagt: Wenn wir linear lernen, denken wir tendenziell in linearen Strukturen. Wenn wir non-linear lernen, hat das Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir denken. Das bedeutet, wir sind bereits inmitten eines Paradigmenwechsels

●    von einer Sender-Empfänger-Logik zu einer Beziehungslogik,
●    von einer Nutzen-Ethik zu einer Verantwortungsethik in der Wirtschaft, und
●    von einer scheinbar kontrollierbaren Welt zu einer unkontrollierbaren, komplexen Welt*.

Wenn es also um Digitalisierung geht, dann bedeutet dies nicht nur das papierlose Büro, sondern gleichfalls eine Neuorientierung in den Bereichen Organisationsentwicklung, Innovation, Teamkultur und Führung. Im Folgenden möchte ich auf die Grundlagen dieses gesellschaftlichen Wandels eingehen.

* Wohin es weiter mit Künstlicher Intelligenz geht, bleibt an dieser Stelle nur zu vermuten.

2. Eine neue Handlungslogik als Resultat digitaler Entwicklung

Wenn wir nun nach Stiegler (2010) annehmen, dass die uns umgebenden, non-linearen Medien einen Einfluss auf unser Denken haben, dann stellt sich die Frage nach dem Wie. Welche Handlungslogiken folgen einer non-linearen Denke? Einige davon möchte ich hier einführen, weil diese unterliegenden Strömungen erklären, warum New Work geprägt ist von folgenden Arbeitsweisen:

●    Agil (beweglich und flexibel)
●    Kreativ (neuartig und schöpfend)
●    Iterativ (stetig verbessern durch Wiederholung)
●    Sinn-geleitet (im Einklang mit persönlichen Werten)

Nun sind einige dieser Begriffe Schlagworte, die mit Leben gefüllt werden wollen:

  1. Agiles Arbeiten bedeutet, offen zu sein für die Bewegungen der Umwelt und immer wieder spontan und flexibel auf diese zu reagieren. Hierzu gehören Organisationsmanagements, wie Scrum, Kanban und Lean.

  2. Kreatives Arbeiten ist bei jedem Menschen qua natura angelegt. Leider besteht vielerorts der Glaube, dass Kreativität gleichbedeutend sei mit künstlerischer Tätigkeit. Eine andere Sicht ist, dass der Mensch sich alltäglich durch Kreativität ausdrückt. Im einfachsten Sinne ist Kreativität, Ideen zu haben und sie umzusetzen, egal ob in der Küche, dem Büro, dem Sportplatz, der Werkstatt, dem Ehrenamt. Wir kreieren alle täglich. Nur allzu oft fehlt dazu der Raum im Job. Dabei ist schöpferische Tätigkeit Grundlage von Innovation, die im Wandel der Zeit gleichbedeutend sein mag mit Evolution.

  3. Iterativ zu sein, bedeutet im ersten Schritt zu experimentieren und sich dann durch Wiederholungen stetig zu verbessern. Modelle hierfür sind Design Thinking, Safe-to-Fail Experimente und das Motto “Gut genug fürs Jetzt, sicher genug für einen Versuch”.

  4. Sinn-geleitetes Arbeiten bezieht sich auf die Notwendigkeit, sowohl Unternehmenszweck als auch persönliche Werte miteinander in Einklang zu bringen. Das gilt natürlich für Gründerinnen und Gründer sowie Unternehmerinnen und Unternehmer wie auch für Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter, die mehr als in den vergangenen Jahrzehnten darauf achten, dass Nachhaltigkeit und persönliche Werte in allen Lebenslagen Beachtung finden*.

* Der Nachhaltigkeitsauftrag ist im Sinne der UN Nachhaltigkeitsziele in der deutschen Politik verankert: bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/nachhaltigkeitsziele-erklaert-232174

Wenn wir diese vier Arbeitsweisen annehmen, dann erschließen sich folgende Muster als Beispiele zweier Handlungslogiken, die beide Ihren Platz haben. Eine ist uns für gewöhnlich gut bekannt, die zweite weniger. Das Dreieck (Vgl. Abbildung 3) symbolisiert Hierarchie, Kontrolle und strategisches Vorgehen. Es ist ein Muster für das klassische, inhabergeführte und in Abteilungen gemanagte Unternehmen des 20. Jahrhunderts. In dieser Logik befinden sich auch die dramatischen Narrative, die über Bücher, Theater, Film, Radio und Fernsehen vermittelt wurden. “Dramatisch” beschreibt den linearen Ablauf mit Anfang, Mitte und Ende in chronologischer Abfolge; es gibt eine Handlung mit steigender Spannung, Höhepunkt und Auflösung. In der gleichen Weise funktionieren Strategie (Spannungsbogen), Taktik (Umsetzungsweisen), Ziel (Höhepunkt) und Erfolg (Erleichterung / Auflösung).

Die zweite Grafik in Abbildung 3 zeigt eine Spirale, welche kreisförmig die wiederholbare Bewegung von Versuch und Verbesserung symbolisieren soll. Sie ist gekennzeichnet von assoziativen (die Umwelt einbeziehenden) Impulsen, die das jeweilige Experiment begleiten und verbessern. Kreise bilden das Symbol für einen Arbeitsablauf, in dem sich Umwelt scannen und fokussieren (sprich: am-Kunden-ausprobieren und inhäusig-verbessern) abwechseln. Kreisläufe befinden sich aber auch auf anderen Ebenen, wie zum Beispiel in der Kreislaufwirtschaft, in der das Unternehmen eigens Produziertes wieder zurücknimmt und weiter verwertet. Hier entsteht das Bild einer epischen Narrative, die aus einer Erzählung in mehreren Teilen besteht, die mehrere Autorinnen und Autoren hat, welche Hand in Hand jeweils neue Module entwickeln.

Ein zweiter Blick zeigt (Vgl. Abbildung 4), dass Dreiecke eine stabile Struktur ergeben - nach Fuller gar die stabilste Struktur im Universum7. Diese stabile Struktur lässt sich effizient in linearen Abläufen aneinanderreihen. Kreise hingegen sind dynamisch und bewegen sich mit den konträr laufenden Impulsen der Umwelt. Wir gewinnen also mindestens eine Dimension.

3. Mechanismen der Innovation

Gehen wir nun von der Musterbetrachtung zurück zur Handlungslogik, ergeben sich sechs Mecha-nismen, die besonders für Unternehmerinnen und Unternehmer, Gründerinnen und Gründer sowie Organisationen wichtig sind, die sich mit innovativen Lösungen für ihren eigenen Betrieb bezie-hungsweise die Gesellschaft / den Markt befassen (Vgl. Abbildung 5).

  1. Indem wir offen sind für Eindrücke unserer Umwelt, beginnen wir bisher Unverbundenes miteinander zu verweben. Es zeigt sich das Netzwerk der Kollaborationen.
  2. Indem wir das Kreisförmige dem Linearen an die Seite stellen, arbeiten wir iterativ, rhythmisch und wiederholend. Es zeigt sich der selbstlernende Organismus.
  3. Indem wir unsere eigene Agenda in eine Petrischale mit anderen geben, durchbrechen wir unsere Schranken. Es zeigt sich Wachstum aus vereinten Kräften.
  4. Indem wir unsere Teilsicht öffentlich machen, ermöglichen wir ein gesamtes Puzzle. Es zeigt sich die eigene Position / Funktion im Gefüge.
  5. Indem wir unseren Fokus öffnen, von Analyse zu Synthese, können Einzelteile zusammen-finden. Es zeigt sich Kreativität und Innovation.
  6. Indem wir Wettbewerb für Kooperation öffnen, eröffnen wir neue Perspektiven für Wachstum. Es zeigen sich Mehrwert und Arbeitsteilung.

Abschließend lässt sich sagen, dass die beschriebenen Tendenzen nicht eine Abkehr von Linearität, Fokus, Hierarchie und Analyse bedeuten - und es stellt keineswegs deren Wert und Sinn infrage. Es zeigt sich allerdings, dass ihnen ein Repertoire an die Seite gestellt wird, das im vergangenen Jahrhundert ein Nischendasein führte und nun - wie in der einstigen Renaissance - zur Blüte kommen mag. Dieser Fachbeitrag kann Unternehmerinnen und Unternehmern helfen, New Work als neue Konstante zu erkennen, und die Vielzahl der New Work-Praktiken einzuordnen und sinnvoll zu nutzen. Am InnovationPort Wismar können Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Gründerinnen und Gründer aus Mecklenburg-Vorpommern die New Work-Prinzipien für ihre Prozesse anwenden.

 

Literatur

1 Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom. Yale: University Press.

2 Bruns, Axel (2008): Gatewatching: Collaborative Online News Production. New York: Peter lang Publishing Smith, Adam [1776].

3 Jenkins, Henry (2006). Convergence Culture: Where Old and New Media Collide. New York: New York University Press.

4 Gerlitz, Caroline (2011): Die Like Economy. Digitaler Raum, Daten und Wertschöpfung. In: Oliver, Leistert; Theo, Röhle (Hg.): Generation Facebook. Über das Leben im Social Net (S. 101–122). Bielefeld: transcript.

5 Imhof, K. (2015). Demokratisierung durch Social Media? (pp. 15-26). Springer Fachmedien Wiesbaden.

6 Stiegler, Bernard (2010). Technics and Time, 3: Cinematic Time and the Question of Malaise. Stanford: Stanford University Press.

7 Fuller, Buckminster (o. J.): bfi.org/about-fuller/geodesic-domes

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