Mareike: Herr Prahler, mit dem Bundesaufruf haben Sie den Zuschlag erhalten, eine Smart City zu werden. Was hat das für Ihre Stadt bewirkt?

Lars: Ja das wir uns sputen müssen, dieses als Herausforderung für die nächsten fünf Jahre auch anzunehmen, Smart City zu werden und zu sein.

Mareike: Was heißt das konkret? Beschreiben Sie es. Wie ist der Prozess gestartet? Welche Herausforderungen gab es? Ich stelle mir jetzt vor, eine andere Stadt oder ein anderer Beteiligter sagt, ich möchte das auch gerne werden, ich würde Ihnen gern zuhören. Es klingt alles sehr fertig, das Projekt ist da. Es hat aber viel Vorarbeit/ Prozesse gegeben. Wie kommt man da hin? Wie kommt man überhaupt auf so eine Idee? Einfach, dass vielleicht ein anderer Bürgermeister zuhört und sagt es ist alles machbar, ich möchte mich davor nicht fürchten und möchte das auch gerne werden. Vielleicht unter dem Aspekt, ein bisschen Vorreiter zu sein und in diese Position zu springen. Erzählen Sie gern, “Wie hat es bei uns angefangen? Welche Herausforderungen gab es”? Erzählen Sie ruhig auch länger von der Geschichte, wie sich das alles so zugetragen hat. 

Lars: Genau, mach ich gerne. Also vorweg schicken möchte ich - ich habe von Digitalisierung selber überhaupt keine Ahnung. Bin auch, was Technik betrifft, ein absoluter Drops. Mein 14-jähriger Sohn lacht sich kaputt, wenn er hört, “digitale Stadt Grevesmühlen” und das ich da irgendwie ein Vorreiter sein soll. Er übernimmt zu Hause die ganze Installation der technischen Geräte. So ist das auch gestartet in Grevesmühlen. Ich wurde von außen angepiekst, dass Grevesmühlen sich da mal ein bisschen auf die “Hinterbeine” stellen sollte in Bezug auf digitale Entwicklung, soziale Medien und Kommunikation. Das war ein ziemlich bissiger Kommentar auf Facebook von einem Bürger aus Grevesmühlen. Den habe ich mir dann aber geschnappt und wir haben ca. zwei Stunden lang diskutiert, was aus seiner Sicht alles besser werden sollte. Ich habe dann zu ihm gesagt, er soll seine Freunde zusammenholen und gemeinsam bilden wir die Arbeitsgruppe “AG digitale Stadt” und ich bin bereit, ständig Kaffee zu kochen und zuzuhören. Ich verspreche auch, alles was an guten Ideen zusammenkommt, in die Tat umgesetzt wird. Das war so kurz nach meiner Wahl 2016. Nachdem ich meinen Schreibtisch in Beschlag genommen habe, waren das so die ersten Gespräche. Wir waren um die sechs/ sieben Leute zwischen 30 und 40, außer ich, die in dem Kämmerlein einmal pro Monat rumgesponnen haben, was denn alles passieren muss, damit wir digital besser aufgestellt sind. Uns wurde ziemlich schnell klar, dass wir mit unseren Grundideen an die Öffentlichkeit treten müssen. Nicht, um für die Ideen zu werben, die wir selbst entwickelt haben, sondern weil wir uns an der Arbeit großer Player orientiert haben. Wir wollten die Bürger mit ins Boot holen, sodass sie die Ideen entwickeln können. Das haben wir vor zwei Jahren relativ umfassend angepackt. Wir haben in Wahlpflichtfächern des Gymnasiums in Grevesmühlen, in der Regionalschule, in Seniorenclubs versucht, die Menschen zu animieren und erfragt, wie die digitale Zukunft in Grevesmühlen aus ihrer Sicht aussehen kann. Es gab eine sehr gelungene Veranstaltung im Rathaussaal mit knapp 150 Leuten, die gemeinsam Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken diskutiert haben. Daraus ist unser Masterplan für die digitale Stadt entstanden. Danach gab es den Aufruf mit einer Frist von anderthalb Monaten, die anhand unserer Vorleistungen ausreichend waren. Natürlich mussten wir unsere Daten an die Vorlagen des Fördermittelgebers anpassen, Preise kalkulieren und die Prozesssteuerung für die nächsten fünf Jahre genau beschreiben. Das haben wir gemacht, anschließend gewartet und glücklicherweise den Zuschlag bekommen. 

Mareike: Als Sie den Zuschlag bekommen haben, gab es zwar die Vorarbeit, aber es steht trotzdem die Frage im Raum, wie es denn weitergeht.

Lars: Auch da gab es eine gewisse Vorleistung. Den Zuschlag für Smart City haben wir im August letzten Jahres bekommen, bereits seit Jahresanfang hatten wir einen hauptamtlichen Digitalisierungsbeauftragten bei unseren Stadtwerken implementiert. Wir konnten in dem Fall den Geschäftsführer der Stadtwerke überzeugen, dass die Stelle in seinem Unternehmen perfekt angesiedelt ist. Und zwar steuerrechtlich und aus Gründen des Know Hows sowie der Manpower. Der Digitalisierungsbeauftragte war demnach schon eingebunden und stellt auch den Kern unseres Projektes dar. Einer muss sich kümmern und an den einzelnen Projekten dranbleiben. Letztendlich hatte er ein halbes Jahr Vorlauf und konnte dann direkt starten, mit “einem kleinen Backfisch im Portemonnaie”. Das ist der Vorteil, wenn man an so einem Modellprojekt teilnimmt. 

Mareike: Ich könnte mir vorstellen, man hat einen Fahrplan. Was sind die nächsten Herausforderungen oder Stolpersteine, die typischerweise im Weg liegen oder bei Ihnen im Weg gelegen haben? 

Lars: Vielleicht gehen wir später darauf noch einmal ein. Was haben wir eigentlich alles vor? Dann könnte ich an den einzelnen Projekten näher beschreiben, wo die Stolpersteine sind. In der Regel ist es nicht die Technik, es sind auch nicht konkrete Produkte, die man letztendlich schon vorher einkaufen kann, die dann in der Summe eine digitale Stadt darstellen. Wichtig ist, dass man möglichst viele gewinnt, die mit den Produkten umgehen. Ich mache das mal an einem Beispiel fest. Wir haben ein Teilprojekt “Gesunde Stadt” mit der Idee, die Vergabe von Pflegeplätzen smart zu gestalten, indem ein öffentliches Abfragetool erarbeitet wird. Das Ganze macht natürlich keinen Sinn, wenn kein Pflegedienst mitmacht. Es macht auch keinen Sinn, sich über Telemedizin Gedanken zu machen, wenn wir keinen Arzt haben, der sich das auf die Fahne schreibt und die Zeit nimmt, digitale Sprechstunden anzubieten. Der größte “Klops” ist es, Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir sprechen hier von Pilotphasen, das ist bei Modellprojekten ja so, es klappt nicht alles auf anhieb und es ist ganz neu. Man muss Leute überzeugen mitzumachen. Das ist in einer Kleinstadt wie Grevesmühlen im Übrigen viel einfacher, als wenn Sie sich vorstellen, Rostock würde versuchen, alle Ärzte zu überreden, bei dem Projekt Telemedizin mitzuwirken. Da ist dann der Umfang der Überzeugungsarbeit viel größer. Es ist auch viel gefährlicher für das Projekt zu sagen, dass ist die digitale Stadt, wenn nur 50% mitmachen. Da ist in einer Kleinstadt, über mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte gewachsen, die Netzwerkarbeit viel einfacher als in Großstädten. 

Mareike: In dem Kontext - manchmal ist es auch spannend, vom Kleinen zum Großen zu schauen. Was hat sich bewährt? Haben Sie dennoch an der Stelle einen Geheimtipp für größere Städte? Ein Rezept wo Sie sagen, dass kann ich auf jeden Fall mit an die Hand geben?

Lars: Digitalisierung muss Chefsache sein! Ich glaube, in 20/ 30 Jahren werden wir als Städte am Gesamtpaket gemessen. Da gibt es einen analogen Part, der nicht schrumpfen wird. Die Straßen müssen sauber sein, die Innenstädte müssen schick sein usw. Aber das digitale Angebot, das sich in der Stadt auftut, wird ebenso und insbesondere von unseren Bürgern bemessen. Ein Bürgermeister will wiedergewählt werden, also muss er es zur Chefsache erklären. Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe, das bekomme ich jetzt live und in Farbe mit. Immer diese Frage, wer ist jetzt eigentlich zuständig dafür? Alle in der Runde schauen sich an, wenn es keiner weiß, ist es der Bürgermeister. Nun kann der Bürgermeister aber nicht alles tun, deshalb muss der Prozess von Anfang an so gesteuert werden, dass klar ist, dass er Geld und Ressourcen (in Form von Manpower) kostet. Bitte bitte das Projekt nicht nebenbei organisieren, da muss Struktur hinter sein, z.B. als Stabsstelle oder Eigenbetrieb. Die Technik ist da, man kann sich vorzüglich Produkte einkaufen, man kann auch richtig viel Geld ausgeben. Große Player bieten ganz viele Sachen an, die sie auch mit dem Label Smart City belegen. Ganz wichtig ist - es funktioniert nur, wenn Ressourcen bereitstehen und Netzwerke aufgebaut werden. Das kostet Zeit und Geld. 

Mareike: Ich kann mir auch vorstellen, es geht nicht nur darum, Überzeugungsarbeit zu leisten, es geht ja auch ein Stück weit darum, ob man damit umgehen kann. Stichwort Befähigung - umgehen mit digitalen Elementen/ Lösungen. Wie schätzen Sie den Befähigungsstatus Ihrer Stadt ein? Wie sind Sie damit umgegangen? Wir merken es im Großen im Land, dass sich 90% der Menschen das 1x1 der Digitalisierung auseinandersetzen müssen. Überhaupt loszulaufen, sich zu trauen, sich mit solchen Dinge zu beschäftigen. Wie schätzen Sie das für Grevesmühlen ein? Bemerken Sie einen Prozess der gesteigerten Akzeptanz den Dingen gegenüber? Wie schätzen Sie die Lage ein? Nehmen Sie sich im Rahmen des Modellprojektes vor, etwas für die Befähigung zu tun?

Lars: Wer soll sich alles befähigen? Einmal ist ja die Frage, ob die Leute die etwas tun müssen, um ein Angebot zu erarbeiten, digital fähig sind, ob die Struktur fähig ist. Dazu will ich sagen - ich glaube jede Stadtverwaltung, jede Landeseinrichtung durchlebt ja jetzt die Phase der Digitalisierung zur Steuerung ihrer eigenen Prozesse. Und ich erlebe das in meinem Kollegium mit sehr sehr viel Freude. Wie die Beschäftigten selbst darauf drängen, dass die Prozesse smarter und digitaler werden, das Fachanwendungen funktionieren, das z.B. der Sitzungsdienst digital aufgezogen wird. So erkennt beispielsweise diejenige am Kopierer, welche Effizienzsteigerungen dahinter stecken. Vor kurzem haben wir die E-Rechnung eingeführt und jeder Beschäftigte merkt, wie einfach das letztendlich ist und wie viel Zeit dadurch gewonnen wird, dass wir die Digitalisierung auf den Weg gebracht haben. Das ist ja kein abgeschlossener Prozess, sondern das geht ja immer weiter. Was heute aktuell ist, ist in zwei Jahren “alter Hut”, da ist die Digitalisierung sehr schnell. Da habe ich ein bisschen Sorge, dass diese Innovationsgeschwindigkeit in diesem Metier uns alle wohlmöglich mal überfordern wird und wir es nicht mehr nachvollziehen können. Bei den Kunden mache ich mir eigentlich weniger Sorgen. Wir schimpfen immer alle, dass immer mehr online eingekauft und erledigt wird sowie unsere Innenstädte sterben. Das kann ja auch nur den Grund haben, dass es immer mehr Leute nutzen. Wir haben als öffentliche Verwaltung mit unserem Bürgerservice eher das Problem, dass wir schon kritisiert werden, da nicht hinterher zu kommen. Teilweise berechtigt, es ist Außenstehenden nicht zu erklären. Intern wissen wir, dass es eben damit zu tun hat, dass wir nicht wie Amazon agieren dürfen, sondern da viel mehr zu beachten haben als Außenstehende nachvollziehen können. Wir müssen uns sicherlich anschauen, was ist mit den Gruppen, die womöglich außen vor sind, in Bezug auf Digitalisierung. Wer ist das überhaupt? Sind das wirklich die Alten? Wenn ich mir meinen Vater anschaue mit 75, was er am Rechner tut. Vor allem mit welcher Inbrunst und welchem Zeitaufwand. Dann würde ich sagen, er ist jetzt nicht die Randgruppe um die ich mir Sorgen machen muss. Gucke ich mir meinen Lütten an mit neun Jahren, dann sehe ich, dass er natürlich schon großes Interesse hat, sich in der Internetwelt gütig zu tun, aber er hat bei Leibe noch nicht die Kompetenzen. Wir haben ihm auch noch kein Smartphone zugelegt. Also es sind Kleinkinder und womöglich besonders Alte oder es sind Leute, die sich aus welchen Gründen auch immer der digitalen Welt selbst nicht stellen. Es ist noch nicht mal ein soziales Problem. Schauen Sie sich in Bahnhöfen, an Autobahnraststätten, an Bushaltestellen - egal welche Gehaltsstruktur dahinter steckt, jeder hat ein Smartphone vor der Nase. Ich denke mal die Kompetenz ist da, die Affinität ist da. Jetzt stellt sich die Frage, ob wir sie begeistern können, mit dem Begriff und dem Produkt “Smart City” oder digitale Stadt. Da kann ich Ihnen tatsächlich sagen, es ist ein zweischneidiges Schwert. Ich hatte ja über den Workshop berichtet, den wir durchgeführt haben. Der war deshalb so gut besucht, weil wir Schulklassen integriert und direkte Ansprachen bei Seniorenclubs, Vereinen gemacht haben. Kommt hier hin, es gibt Kaffee und Kuchen - dann sind sie gekommen. Wir haben das ganze auch öffentlich gemacht. Die Anzahl der Menschen, die aus freien Stücken zum Workshop gekommen sind, war sehr gering. Ich glaube, es waren zwei oder drei, die sich eigentlich über Breitband informieren wollten. Darüber hinaus waren sie nicht wirklich begeistert, dass wir die Absicht hatten, mit ihnen noch andere Fragen zu erörtern. Wir haben es parallel dazu in den sozialen Medien kommuniziert und dabei ist folgendes passiert. Über die sozialen Medien kamen überwiegend nur negative Kommentare: “Warum macht sich die Stadt auf den Weg zur Digitalisierung? Wir müssen doch die Innenstadt schützen?” “Immer dieser Digitalisierungskram, dieses Neuartige, so etwas wollen wir nicht”. Sie haben dabei gar nicht gemerkt, dass sie über Facebook kommuniziert haben, sprich genau das gemacht haben, womit wir uns beschäftigen wollen. Was ist unsere Schlussfolgerung daraus? Wir können mit dem Begriff Smart City als Anglizismus bzw. dem Themenfeld digitale Stadt als solches in der öffentlichen Wahrnehmung keinen “Blumentopf” gewinnen. Wir müssen mit den einzelnen Dienstleistungen kommen. Wenn das mit dem Pflegedienst klappt, das WLAN funktioniert, dann nehmen es die Leute wahr. Wir müssen sie, genau wie in der analogen Welt, mit Erfolgen konfrontieren und nicht mit Zukunftsprojekten, die letztendlich nur als Quark im Schaufenster wahrgenommen werden. 

Mareike: Das klingt total spannend und ich glaube allein vom Zuhören kann ich mitfiebern, durch welche Kurve Sie gelaufen sind. Mit den Menschen, die Sie begeistern konnten, die Sie selber jeden Morgen begeistern, dafür tue ich das. Sie haben sicher ganz, ganz viele Ideen im Kopf. Da möchte ich gern zu der Frage kommen: Was nehmen Sie sich alles vor? Was ist Ihre Zukunft, unabhängig von dem, was dann irgendwann nicht nur Quark im Schaufenster sein wird, sondern tatsächlich real ist? Wichtig ist ja, dass man am Anfang die Vision, die Ideen hat. Was liegt Ihnen da am Herzen?

Lars: Ich würde einmal mit den Zielstellungen anfangen, danach komme ich zu den genauen Maßnahmen. 
Erst einmal ganz wichtig, die digitale Stadt, so wie wir das auffassen, ist mehr als Breitband. Breitband ist aktuell ein riesen Thema, überall wird gebuddelt. Die ersten sind schon angeschlossen, die anderen noch nicht und schimpfen darüber. Wenn ich in solchen Einwohnerversammlungen als Gast sitze, (Glücklicherweise bin ich nur Gast als Bürgermeister, das wird ja alles über den Landkreis und Dienstleister organisiert.) dann stelle ich mir und den Leuten, die am lautesten meckern immer die Frage “Was willst du mit dem Breitband letztendlich tun”? Wenn es nur Netflix gucken ist, haben wir volkswirtschaftlich und auch gesellschaftlich mit dem Breitbandausbau nichts gewonnen. Wir haben uns als digitale Stadt infrastrukturell auf WLAN gestürzt. Also parallel zum Breitbandausbau werden wir ein WLAN-Ausbau umsetzen. Das hat den Hintergrund, dass wir viele Anwendungen, die wir vor Augen haben, nicht ohne WLAN denken können. Nächstes Thema - ganz wichtig ist in der Kommunikation zwischen uns beiden, mit der Öffentlichkeit und erst recht mit Berufskollegen: Digitale Stadt ist tausendmal mehr, als die Digitalisierung des Rathauses. Jeder Bürgermeister den Sie fragen wird Ihnen sagen: “ Ja digitale Stadt, wir führen Bürgerservices ein und haben auch schon Computer im Bürgerbüro” und solche Geschichten. Nein - das ist nicht das, was die Leute mit digitaler Stadt verbinden. Stadt ist überhaupt mehr als Rathaus. Man geht nur alle fünf Jahre ins Rathaus, um sich einen neuen Personalausweis ausstellen zu lassen. Stadt ist der Bäcker, der Einkaufsmarkt, der Arzt, sind Freunde, Vereine und vielleicht alle fünf Jahre mal der Kontakt mit dem Bürgermeister. Man muss also den Fokus vom Rathaus weglenken, hin zu der Erlebniswelt der Stadt und deren Bürger. Das beinhaltet auch die nächste These. Digitalisierung ist maßgeblich ein Instrument zur Kommunikation. Nicht zur Verhinderung der Kommunikation, was alle immer befürchtet haben. Das Kinder nicht mehr rauskommen und mit ihren Freunden spielen und sprechen - das Gegenteil ist ja der Fall. Ich sehe es an meinen Kinder, es wird ständig kommuniziert. Lustigerweise wird über das World Wide Web großes Interesse gehegt, sich mit Freunden, mit nahen Persönlichkeiten über nahe Themen zu unterhalten. Wichtig für das Projekt: Wir gehen davon aus, dass es ein ganz großes Interesse gibt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger digital mit ihrer Stadt auseinandersetzen. Nächste These - wir werden immer digitaler in allen Lebenswelten, aber das analoge bleibt. Das ist auch eine Hoffnung, die ein Bürgermeister äußert mit dieser Zielstellung. Eine Stadt, die 850 Jahre alt ist, kann nicht einfach durch Smartphones ersetzt werden. Das ist auch nicht meine Wahrnehmung, wenn ich durch Städte gehe. Ich nehme es nicht wahr, dass die Bürgerinnen und Bürger kein Interesse mehr daran haben, sich mit ihrer Stadt auseinander zu setzen. Sie kommen noch auf öffentliche Plätze, sie wollen sich auch mit lokalen Themen auseinandersetzen. Es ist aber auch eine Krux darin - wir müssen den analogen Teil vorhalten und digitale Bausteine dazu denken und andersherum. Dinge, die nur in der digitalen Welt sind, in die analoge Welt implementieren. Nächstes wichtiges Schlagwort - ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass die Städte zukünftig immer mehr danach bemessen werden, wie gut sie in der Digitalisierung sind. Ich glaube auch hinsichtlich der Finanzierung der Prozesse muss uns klar sein, Digitalisierung ist kein Luxus sondern Teil der Daseinsvorsorge. Einfach daran festgemacht, Bürgerinnen und Bürger bewerten eine Stadt danach, wie gut die Straße gemacht ist, wie gut die Feuerwehr und das Digitale funktioniert. Das nächste Schlagwort habe ich bereits angerissen. Es ist ein evolutionärer Prozess, d.h. alles das, was an Teilprojekten für Grevesmühlen in den nächsten fünf Jahren auf den Weg gebracht werden soll, wird nach fünf Jahren noch nicht fertig sein. Nach der Zeit werden wir sagen, wir müssen dies und das als nächstes tun. Auch wenn man zurückblickt, nichts hat irgendwann einmal angefangen. Wir reden bereits seit Jahrzehnten über Digitalisierung, haben es womöglich nur anders betitelt. 
Jetzt komme ich zu den Teilprojekten, die wir uns letztlich vorgenommen haben. Das ist tatsächlich eine Prioritätenliste, die uns die Ressourcen gezwungen habe zu sagen, das muss als erstes, zweites und drittes passieren. Erst einmal wollen wir mit Hilfe dieser Fördermittel ein WLAN aufziehen. Und zwar ein WLAN, das sich kostenfrei und sehr barrierearm für jeden auftut, der die Stadt besucht. Dieses WLAN soll an allen öffentlich frequentierten Bereichen funktionstüchtig sein - auch beim Stadtfest, wenn ca. 1000 Leute gleichzeitig versuchen, sich einzuwählen. Das ist deshalb wichtig, weil wir in solchen Momenten spezielle Angebote über das WLAN schalten möchten. Stellen Sie sich einmal das Stadtfest vor, dabei wollen wir propagieren, wo welche Veranstaltungen im Stadtgebiet innerhalb der nächsten 15 Minuten stattfinden wird und den Leuten eine Wegbeschreibung auf das Smartphone spielen - dann muss das natürlich schnackeln. Lokaler Handel soll dadurch gestärkt werden, dass wir zwei wesentliche Dinge tun. Zum einen werden wir schulen, schulen, schulen, damit unsere Leute, die bisher nichts mit digitalem Handel zu tun hatten, keine Zeit und Kompetenzen, so mit auf den Weg gebracht werden. Wir möchten sie auch unterstützen. Es muss jemanden geben, der auch Daten pflegt, man kann nicht alles auf den Einzelnen übertragen. Das ist die erste Erfahrung mit unseren Einzelhändlern. Da muss es jemanden als Dienstleister geben, der immer wieder anpiekst und nachfragt: “Was hast du im Sortiment? Wie sind deine Öffnungszeiten”? Dann möchten wir zwei Produkte implementieren, die mit dem Einzelhandel zu tun haben. Wir möchte letztendlich digitale Angebote auf den Weg bringen. Beispielsweise das Brötchen ist heute zehn Prozent billiger. Viel interessanter und deutlicher (durch die Digitalisierung) wird es jedoch, wenn du bei mir einen Schuh kaufst, dann bekommst du bei Bäcker Freitag zehn Prozent Rabatt auf einen Kaffee. Dieses B2B-Modell ist als Geschäftsmodell schon ausgereift und fertig, wir müssen jetzt letztendlich nur noch in die Phase gehen und Einzelhändler überzeugen, mitzumachen. Wir bieten das als kostenpflichtiges Produkt an, da wir uns gesagt haben, wir greifen so in den Markt ein und dabei ist der Einsatz von Steuermittel rechtlich gar nicht zulässig, glaube ich. Schon macht es Sinn, das über die Stadtwerke laufen zu lassen, weil die es am Ende auch steuerrechtlich abwickeln können. Zweites Teilprojekt in diesem Zusammenhang - wir möchten einen städtischen Lieferservice aufbauen. Letztendlich kostenfrei für den Endkunden, finanziert über eine Geschichte, die wir erst im letzten halben Jahr so scharf entwickelt haben, dass wir sagen können, das kann was werden, nämlich die Grevesmühlen-Card. Das ganze kann man auch für die Gastronomie aufziehen. Was man bei der Gastronomie auch noch machen kann ist, das Produkt gibt es bereits auf dem Markt, die digitale Platzreservierung. Unsere Idee ist, unseren Gastronomen als Stadt ein einheitlichen System zu bieten, damit wir über unser Portal einen einheitlichen Auftritt haben. Das kann man und werden wir auch für Handwerker auf den Weg bringen, also digitale Terminvergabe bei Handwerkern. Gerade bei Handwerkern ist uns aufgefallen, nur fünf Prozent haben bisher eine digitale Welt zu bieten. Da ist es bei unserem Portal wichtig, dass wir überhaupt die Kontaktaufnahme über das Internet ermöglichen. Auch da haben wir mit Microsites ein Geschäftsmodell für unsere städtischen Gewerbetreibenden entwickelt, bei dem sie sich mit Basisinformationen erst einmal im Internet platzieren. Dann hatte ich schon angerissen, gesunde Stadt - ein gesundes Stadtportal. Hier möchten wir die Anfragen bei Pflegediensten smart gestalten, Telemedizin steuern. Auch da ist der Ansatz, die Ärzte selbst sollen das Modul kaufen, aber wir bieten über unser Portal an, eine zentrale Lösung vorbereitet zu haben, damit dies auch vom Kunden wahrgenommen wird. Das kann man natürlich auch für die anderen Medizinberufe weiterdenken. Noch einmal in Bezug auf Pflegeeinrichtungen - dort sollen auch interne Prozesse smarter gesteuert werden, z.B. das Entlassungsmanagement unseren Krankenhauses. Ich bin sehr froh, dass das Pilotprojekt dort schon am starten ist - hier ist das Krankenhaus dabei und noch dazu drei Pflegedienste, die über ein Abfragemodul ihr Entlassungsmanagement deutlich smarter gestalten. Nun einmal zum Hintergrund. Ein Mensch mit Pflegebedarf wird aus dem Krankenhaus entlassen, die Entscheidung wird innerhalb von Stunden getroffen. Die Entlassungsmanagerin hat bisher sieben Pflegedienste hintereinander abtelefoniert und jedes Mal Informationen übergeben, die es braucht um zu klären, ob ein Pflegeplatz zur Verfügung steht. Das wird jetzt über ein Abfragemodul einmalig herausgegeben und die Pflegedienste, die eine freien Platz haben, melden sich dann. Wichtig ist uns auch, die Leute da abzuholen, wo sie mit ihrem Smartphone am meisten abhängen - beim Thema Zeitvertreib und Spaß haben. Letztendlich ist der Werbefaktor für unser Stadtportal nur dann gegeben, wenn wir immer wieder Neues bieten, was auch Spaß macht. Schatzsuche rund um die Piraten im Rahmen von Stadtfesten, Schnitzeljagden oder ein Ballerspiel wie das Moorhuhn, nur dieses Mal mit dem Bürgermeister. Nahbus - wir haben einen Bus in Grevesmühlen, der eine Acht durch die Stadt fährt, nur eine Linie und das zu festen Zeiten. Es wäre ohne Probleme möglich, wir müssen nur die einzelnen Partner zusammenbringen, den Kunden den genauen Standort wo sich der Bus gerade aufhält, aufs Smartphone zu bringen. Darüber hinaus könnten wir die Zeit berechnen, wann der Bus an der nächsten Haltestelle ist. Das funktioniert aber nur, da es diese Einwahlfunktion über das WLAN als Ansatz gewählt worden ist. Ähnlich ist das Thema Parkplatz-App, da gibt es auch viele Produkte zu kaufen. Wenn das über unser Stadtportal propagiert würde, wäre das ein zusätzlicher Werbeaspekt für die Innenstadt, wenn man auf das Smartphone schaut. Sollte man nicht beim Autofahren, vielleicht nutzen wir auch eine Anzeige eingangs der Stadt. Es gibt 24 Stellplätze die frei sind und das auch mit einer klaren Navigation dorthin. Dann ist es smart, in der Innenstadt einzukaufen. Das Themenfeld Grevesmühlen-Card ist daraus entstanden, dass wir uns gefragt haben, wie bekommen wir es hin, dass dieser Lieferservice, der sicherlich nett ist und “nice to have”, aber in der Regel sofort scheitern würde, wenn es zu bezahlen wäre, trotzdem kostendeckend aufzuziehen. Dabei haben wir uns überlegt, dass wir die verschiedenen Dienstleistungen, im privaten und öffentlichen Bereich, die es in der Stadt Grevesmühlen gibt, zusammenziehen und über eine Grevesmühlen-Card (Flatrate Lösung) unseren Bürgerinnen und Bürgern anbieten. Einmal kurz zur Kostenkalkulation - aktuell gehen wir von 50 Euro für ein Jahresabo aus. Dieses Angebot beinhaltet umsonst Bus fahren, den Lieferservice, Piraten Open Air und Freibadbesuche, Museum ist sowieso umsonst. Was hat das mit Digitalisierung zu tun? Natürlich die Abwicklung der Prozesse. Ich buch dann den Lieferservice und das kann anschließend über diese Karte, und den Chip darin, wunderbar funktionieren. Außerdem sind die ganzen Teilprojekte alle Bestandteile unsere digitalen Stadt. Das sind so im groben die Teilprojekte, die wir bisher angerissen haben, die wir über das Modellprojekt abwickeln wollen. Uns stehen 750.000 Euro zur Verfügung. Wir haben es aber gerade so geschafft uns so arm darzustellen, dass wir mit einem zehnprozentigen Eigenanteil davongekommen sind. Ich glaube alle anderen haben mit einem Drittel Eigenanteil zu kämpfen. Das ist insofern passgenau auf die Verhältnisse von Grevesmühlen eine Summe, die wir in den nächsten fünf Jahren finanziell wuppen können. Ich kann auch so viel verraten, das Projekt ist schon so umfangreich, dass wir merken, viel mehr Luft haben wir nicht. Wir müssen schon darum kämpfen, dass wir die Teilprojekte, die wir jetzt haben, solide vorbereiten und auch auf den Markt bringen. Wir hatten vorhin über Akzeptanz des Projektes gesprochen. Wir werden anhand von Ergebnisse bewertet, nicht an Sachen, die wir für die Zukunft propagieren.

Mareike: Ich finde das sehr, sehr spannend. Ich würde Ihnen zum Abschluss gern noch zwei Fragen stellen. Zum einen, was wünschen Sie sich von Ihrer eigenen Stadt, von Ihren Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen für das weitere Gelingen? Was Sie in Ihrer eigenen Stadt erleben, kann man natürlich auf das gesamte Land beziehen, die Prozesse sind ähnlich. Was wünschen Sie sich für Ihr digitales MV?

Lars: Der Erfolg oder Misserfolg unseres Projektes hängt in erster Linie davon ab, wie die Netzwerkarbeit funktioniert. Da bin ich abhängig von Ärzten, Handwerkern, Einzelhändlern - letztendlich von den Bürgerinnen und Bürgern, die das wahrnehmen. Ich kann mir nur erbitten, dass diese die Pilotphase aktiv mitgestalten. Das Grundverständnis dafür ist da, aber das ist harte Arbeit, ich bin abhängig von Interessenlagen jedes Einzelnen. In einer Kleinstadt werden die Prozesse von vier/ fünf Leuten gesteuert, die haben dann sehr viel Engagement zu zeigen. Das klappt auch einigermaßen, aber die Streukraft darüber hinaus, ist von Skepsis geprägt. Ein bisschen mehr Offenheit des ein oder anderen, der damit konfrontiert wird.
Übertragbarkeit unseres Modells in andere Städte, ins Land MV - ich würde mir wünschen, dass sich jede Stadt mit ihren Verhältnissen auseinandersetzt und für sich Lösungen findet, sich jetzt aufmacht, wenn es nicht schon passiert ist. Ich kann es nur wiederholen - es ist ganz wichtig für die zukünftige Bewertung einer jeden einzelnen Körperschaft/ Institution und letztendlich der Stadt, wie bin ich digital aufgestellt? Diese Frage kann sich jede Stadt nur selbst beantworten, jede Stadt ist logischerweise anders. 
Es wird sich ein Gesamtbild für Mecklenburg-Vorpommern ergeben. Ob das von oben gesteuert ist oder ein “Bottom-Up” Projekt wird, werden wir sehen. Wahrscheinlich wird der Prozess amorph verlaufen, da man es nicht steuern kann und wir sind abhängig von zufälligen Ereignissen. 
Ich kann Mecklenburg-Vorpommern nur dazu animieren, beim Themenfeld Digitalisierung wirklich einmal Luft zu holen und sich nicht zu viele Gedanken über Defizite zu machen. Viele hegen den Gedanken, Mecklenburg-Vorpommern ist als Flächenland das Ende der Fahnenstange. Nein, so ist es nicht. Das Thema Digitalisierung ist anders als Schwerindustrie, als das Thema öffentliche Infrastruktur, Geldwirtschaft und maßgeblich davon geprägt, was wir in unseren Köpfen haben. Wenn wir sagen, dass wir bei der Digitalisierung sowie keine Chance haben, dann sagen wir nichts anderes, als das wir blöd sind und das sind wir nicht. Also, Feuer frei, macht alle das Beste draus, zeigt Engagement und dann können wir sogar bundesweite Spitze sein.

Mareike: Herr Prahler, ich bedanke mich sehr für das Interview und glaube, das gibt ganz viel Inspiration für die ein oder anderen Bürgermeister und den ein oder anderen Protagonisten, der sich für das Thema interessiert. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.